Die Bilder von Bern schockierten. Doch das, was am 22. Januar hervorbrach brodelte schon länger. Die fehlende Abgrenzung der ganzen Bewegung nach Rechts führte über die vergangenen Monate zu stetig zunehmenden Zahlen von Teilnehmenden aus verschiedenen rechten und faschistischen Ecken. Auch verschwunden geglaubte Figuren aus dem sehr rechten Spektrum kriechen nun wieder hervor. Ihre Hoffnung: in dieser Bewegung Fuss fassen und sich wieder in Städten blicken lassen können. Wie genau konnte es dazu kommen, und wie tief gehen die Verstrickungen organisierter rechter Kräfte in der Massnamenkritischen Bewegung? Um zu verstehen, was passiert ist, schauen wir den „Sicherheitsdienst“ der an den Demonstrationen auftritt noch einmal genauer an.
Informelle Glockenschützer
Die „Freiheitstrychler“ stellen sich gerne als besorgte Bürger aus der Mitte der Gesellschaft dar, die sich mit traditionellen Werten für die Freiheit der Menschen einsetzen. Bei ihren Auftritten haben sie deshalb immer einen eigenen Sicherheitsdienst dabei. Dieser trägt gelbe Westen und kommuniziert unaufgeregt mit der Polizei und mit anderen Gruppen und sorgt für einen reibungslosen Ablauf. Genau dieses Image soll vermittelt werden.
Neben diesen öffentlichen, braven Sicherheitsleuten, haben die Freiheitstrychler einen zweiten informellen Sicherheitsdienst, der sie mittlerweile ebenfalls bei jeder Demo begleitet: Die „Männer WG“, über die schon viel geschrieben wurde. Diese Leute sind nicht offiziell als Sicherheitsdienst markiert. Die Mitglieder treten oft mit schwarzen Uniformen und Totenkopf-Emblemen auf. Ihr verhalten als „Sicherheitsdienst“ ist, wie zu erwarten, im höchsten Masse unprofessionell. Ihre Gewaltbereitschaft tragen sie offen nach aussen. Regelmässig werden Leute, die eine Maske tragen, aus Demonstrationen heraus beleidigt und bedroht. Die Freiheitstrychler dulden dieses Verhalten offensichtlich. So auch in Zürich am 8. Januar. Die Freiheitstrychler führten die Demonstration an, doch vor und neben ihnen war gut sichtbar eine Schlägertruppe aus rechten Leuten.
Bern: Nur die Spitze des Eisbergs
Diese gewaltbereiten Personen aus dem rechten Spektrum sind mittlerweile die dominante Gruppe auf den massnahmenkritischen Demonstrationen und führen diese regelmässig an, weil kein Mensch sich gegen sie stellt – so auch am 8. Januar in Zürich. Die eigentlichen Organisatoren von „Bildung für alle“ waren praktisch unsichtbar, und auch ihre Inhalte wurden kaum vermittelt. Die dominante, durchführende, organisatorische Kraft an der Kundgebung, war eine gewaltbereite, nationalistisch-reaktionäre Schutzstaffel, die sich im Schatten der „Freiheitstrychler„ frei ausbreiten konnte. Die „Junge Tat“ ist dabei nur die sichtbare Spitze des Eisbergs. Ihre Anwesenheit an und schlussendliche Übername der Demonstrationen wurde ermöglicht durch die „Männer WG“. Diese koordiniert sich mit ihnen, „für Sicherheitsfragen“, wie sie offen zugeben.
Neonazi-Urgesteine tauchen wieder auf
Die WG ist aber nicht nur für die “Junge Tat” ein einfaches Einfalltor in die Massnahmen-Bewegung. Auch für ältere Neonazis sind sie gute Anknüpfpunkte. Ein besonders prominentes Beispiel ist Stefan Nufer. Als junger Neonazi Ende der 90er trat er öffentlich auf: tattowiert mit einem Hakenkreuz, einem flammenden Keltenkreuz und den Worten “Ehre Treue Vaterland” war er Schlagzeuger für die Schweizer Rechtsrockgruppe “Erbarmungslos». Die Lieder hiessen z.B “Weiss und Stolz” oder “Lieber stehend sterben”. Als er diese «Jugendsünden» hinter sich gelassen hatte wurde er ab etwa zum 2008 Kopf der Skinheadorganisation Patriotischer Ostflügel(POF). Ab 2012 absolvierte eine Karriere als Hammerskin und Blood&Honor-Mitglied. Er behauptete über die Jahre immer wieder, alles hinter sich gelassen zu haben. In Wahrheit wurde er unter seinen Kameraden als “Bullenschwätzer” bekannt, und sein Leben als öffentlicher Neonazi wurde ihm immer wieder mal zu anstrengend. Seine Ideologie ist unverändert, trotz mehreren Karriere-Tiefpunkten bei den Hammerskins. Er treibt er sich immer noch bei der Hardturmfront, einer rechten GC-Fankurvengruppierung herum, wo er ein gewisses Ansehen geniesst. Jetzt wittert er in der «WG» ein neues Betätigungsfeld. Nachdem er sich auf Facebook beim Gründungsmitglied Martin Hofmann, der in Böbikon wohnt, eingeschleimt hatte tauchte er in Zürich mit einer Gefolgschaft von 4 jüngeren Männern auf, die wohl der GC-Kurve angehören. Ausserdem wurde er begleitet durch 2 Frauen, die im Dunstkreis der WG aktiv sind, einem weiteren WG-Mitglied sowie von Diego Dettling, einem Kandidaten für die Massnahmenkritische “Freie Liste”. In Bern am 22. Januar war Nufer schon wieder an der Neonazi-Front dabei, neben Manuel Bertozzi dem bekannten Blood&Honor Kadermitglied.
Ein früherer B&H Kollege von Nufer, Michi Kurz, war auch an der Demo in ZH am 8.Januar und gleich darauf in Schaffhausen am 15. Januar, beides mal als Teil der “WG”. Mit Schweizerwappen auf dem Hals und einer Triskele auf dem Handrücken macht er keinen Hehl aus seiner Gesinnung. Im Januar 2013 war er in Huttwil BE in einen rassistisch motivierten Angriff involviert, wofür er sogar strafrechtlich verurteilt wurde. Michi hat sich bis jetzt nicht gerade durch strategisches Geschick hervorgetan. Er ist in der Neonazi-Szene als Ratte bekannt, da er sich 2012 von den Hell’s Angels anwerben liess, obwohl er schon bei Blood&Honor war. In der gleichen Zeit war er kurz Doppelmitglied in den Kurven von GC und FCZ. Das kam nicht gut an, und Michi musste in den Thurgau ziehen. Auch er versucht wieder, ans Licht und auf Zürich zu kriechen. Um das zu erreichen ist er seit Zürich regelmässig mit der “WG” unterwegs. Dass seine Ideologie dieselbe wie vor 10 Jahren ist, kann man annehmen. Sein Schweizerwappen am Hals wurde auf jeden Fall seit damals nicht entfernt, sondern durch Runen ergänzt.
Michis Kamerad an der Demonstration in Zürich ist Päde Hofer, ein klassischer Nazi-Skinhead. Im Dezember ist er mit einem “Ehre Treue Vaterland” T-shirt an einer Veranstaltung der Helvetia-Trychler, wo er mit ihren Glocken posiert. Sein rassistisches, nationalistisches Gedankengut kennt man noch von vor 10 Jahren. Damals sah er sich als Teil der Zürcher Skinhead-Szene, diese sah ihn aber als Möglichkeit für eine effektive und einfache antifaschistische Tat, wenn er mit eindeutigen Nazi-Shirts an Konzerten auftauchte. Seit er aufs Land gezogen ist hat man nie mehr etwas von ihm gehört, was auch besser so geblieben wäre.
Zur Gruppe um Michi Kurz stossen immer wieder bekannte Gesichter der Männer WG: Simon Widmer zum Beispiel, der Flat-Earther aus Zürich; Janice Brüngger, der junge Rechtsfluencer aus Solothurn; Ron Regli der Peitschenschwinger aus Zürich oder Marco Eisenlohr der immer alkoholisierte Schlägertyp aus Wattwil. Die WG trifft auch auf Alessandro Bettini, den Hammerskin-Promi aus Italien, der mit dem Junge-Tat-Fan Roman Wüthrich unterwegs war. Wer ausserdem noch als Neuzuwachs auffällt ist Corin Alba, auch “Rinti” genannt. Sie darf als bis jetzt einzige Frau bei der “Männer WG” mitmachen – wo alle anderen Frauen gebeten wurden, auf die Gründung der “Ladies WG” zu warten.
Urgesteine aus der Bewegung finden ihren Weg zur “WG”
Benjamin Chris Weber aus Rüti, der Gründer der “Die Neue Fick-Dich-Partei” ist jetzt auch beim Sicherheitsdienst angekommen. Der Recyclist ist ein Urgestein in der Corona-Leugner*innen-Szene, er organisierte fast im Alleingang viele der ersten Corona-Massnahmen-Demonstrationen im Januar/Februar 2021. Das hatte auch Bussen und Repression zur Folge. Wir beobachten mit Sorge wie ein zuvor relativ normaler Mann innerhalb kurzer Zeit sein Leben ruiniert. Der alleinerziehende Vater steht kurz vor der Ausschaffung nach Deutschland, da seine Aufenthaltsbewilligung nicht verlängert wird. Seine vielen Klagen, Beschwerden, Anzeigen gegen den Bundesrat wegen Nötigung usw. verlaufen natürlich alle im Sand und kosten Geld. Seine “Partei”, die er im Januar 21 gründete besteht hauptsächlich aus ihm und einem weiteren Freund, Roger M. Bieri. So sieht sich Chris als Anführer in einem rechtlichen Feldzug gegen die Schweizer Regierung, angeblich um seine Kinder vor Massnahmen zu schützen. Mit zunehmender Verzweiflung radikalisiert er sich offensichtlich weiter, und versucht sich nun bei der WG einzugliedern. Wir hoffen, dass er nicht zu einer noch ernsthafteren Gefahr für sich selbst und andere wird, als er es schon jetzt ist.
Florian Hofer ist ein weiterer Neuzuwachs für die WG in Zürich. Der Kundenmaurer mit verblasstem Spinnenetz-Tattoo auf dem Ellbogen aus Winterthur fällt schon seit Anfang der Bewegung unangenehm auf. In Telegram-Chats stellt er die Vermutung auf, “Die Antifa” sei von Juden gegründet, und teilt widerliche, antisemitische Bilder. Er ist offener Fan von Attila Hildmann, den er liebevoll “AH” nennt. Er kündet in Chats an, eine Corona-Interventionseinheit gründen zu wollen, bestehend aus jungen Männern die Kampfsport machen. Ein paar Monate später sieht er sich schon als “gut vernetzt für den Krieg”. An einer Demonstration in St.Gallen am 19.Juni 2021 spielt er sich als Sicherheitsmann auf, pöbelt unbeteiligte am Strassenrand an und muss von seinen eigenen Leuten zurückgepfiffen werden. Seine verbale und physische Aggressivität sticht selbst aus der eh schon aufgepeitschten Masse hervor. Am Samstag 8.Januar in Zürich taucht er mit einer WG-Bomberjacke auf, darunter ein Strickpullover mit Runen im Muster. Stefan Nufer begrüsst er mit einem vertrauten Handschlag. Hier hat er also seine Corona-Interventionseinheit gefunden.
Nicht nur einzelne Verbindungen
Hier wird wieder einmal klar, dass die Verstrickungen nach einem Jahr gemeinsam auf der Strasse stehen so tief gehen, dass man sie nicht mehr an einzelnen Knotenpunkten festmachen kann. Die alten und die neuen Neonazis gehen Hand in Hand mit den nicht-ganz-Neonazis und organisieren sich als Sicherheitsdienst an diesen Demonstrationen. Dass es den „Freiheitstrychlern“, nach zwei Volksabstimmungen wohl kaum um die Souveränität des Volkes geht, ist jedem mittlerweile klar. Betrachtet man aber, mit welchen Leuten sie sich organisatorisch zusammenschließen, um ihre Interessen durchzusetzen, dann bekommt man einen guten Eindruck davon, wie ihre neue freie Gesellschaft, welche sie anstreben, in Wirklichkeit aussehen würde.
Am 8.1 in Zürich war der Verein “Bildung für Alle”, die die Bewilligung hatten, nicht sichtbar. Sie liessen bekannte Neonazis in einer Schlägertrupp-Formation vor sich laufen weil die Freiheitstrychler das so wollten, und feierten sich danach für die erfolgreiche Demonstration. Ihre bürgerlichen Forderungen wurden dadurch als Feigenblatt für eine erstarkende antidemokratische rechte Bewegung entlarvt. Um so wichtiger ist es, dieser Bewegung keinen Fussbreit mehr zu gewähren. Jedes weitere Mal, an dem sich diese Leute weiter offen auf der Strasse treffen können, ist ein Mal zu viel.